Säuglinge und Kleinkinder

 26. August 2011

 

"Ich bin überzeugt, dass Homöopathie hilft, wenn man ihr gegenüber eine positive Einstellung hat." Solche oder ähnliche Äußerungen höre ich oft in Patientengesprächen. Sie belegen den aufrichtigen Versuch, wirklich gut mitzuarbeiten, auch wenn die praktische Umsetzung dieses guten Willens manchmal schwerer fällt als erwartet.

 

Kleinkinder und Tiere haben es da besser, sie brauchen dieses Bemühen erst gar nicht. Instinktiv wissen sie, was ihnen gut tut und was ihnen schaden könnte, und es ist ihnen angeboren, sich auf ihre Empfindung zu verlassen. Erst im Laufe des Lebens erlernen Menschen ein anderes Bewertungssystem.

 

 

Schon vor langer Zeit sind wir dazu übergegangen, die Beobachtung der wirklichen Welt und ihre Deutung an einige Wenige zu delegieren, die wir für qualifiziert halten. Dort, wo ein Tier sich auf seine Intuition verlässt, haben wir das Zutrauen in die eigene Urteilskraft verloren, wir haben es  eingetauscht gegen den Glauben an das, was wir von anderen gelernt haben.

 

Längst sind wir daran gewöhnt, Außenstehende zu fragen, wie es uns geht; der Befund eines fremden Spezialisten hat für uns weitaus mehr Geltung als unser tatsächliches Befinden.

 

 

Das ist nicht von Geburt an so sondern wird uns mühsam beigebracht, in bester Absicht. Alle Irrtümer in der Geschichte menschlicher Forschungen haben uns nicht gelehrt, dass jede Erkenntnis immer nur vorübergehend ist, dass die Gewissheit von heute morgen als Täuschung entlarvt werden kann. Wie schon seit Jahrtausenden halten wir auch heute noch den aktuellen Stand der Forschung für die reine Wahrheit. Vielleicht ist das menschliche Gehirn nicht dafür ausgerüstet, sich für andere Möglichkeiten noch Freiraum offen zu halten.

 

 

Bestärkt in diesem vagen Verständnis der Dinge hat mich unter anderem das Verhalten von Kleinkindern und Tieren in Bezug auf angebotene Arzneien. Sie wissen instinktiv, was wir wieder mühsam lernen müssen:

 

Wassergläser oder Schalen mit unterschiedlichen darin aufgelösten Tropfen einer hoch verdünnten Substanz werden gezielt ausgewählt, verlangt oder zurückgewiesen. Und Behandlungen verlaufen umso erfolgreicher, je selbstverständlicher wir diese Auswahl annehmen.

 

Es muss also ein Gefühl für Schwingungen und ihren Einfluss auf uns geben, das wir verloren haben, obwohl es noch immer in uns angelegt ist. Es wird verdrängt durch viele andere, überwiegend abstrakte Informationen.

 

 

Schon das Erlernen der Sprache zwingt uns dazu, unsere Gedanken in ein begrenztes Gerüst aus Vokabeln zu zwingen, das den gesamten Inhalt unserer Gedankenwelt niemals vollständig wiedergeben kann. Sprache bedeutet also im eigentlichen Sinne eine Einschränkung der Mitteilungsmöglichkeiten von Emotionen. Und als Eltern stehen wir manchmal hilflos vor unserem schreienden Kind und denken: "Wenn er (oder sie) doch nur schon reden könnte!" Beobachten wir diese Unsicherheit überhaupt jemals bei Tieren?

 

Das besonders frühe Erlernen von Sprache deuten wir oft und gern als Zeichen dafür, dass ein Kind eine besonders schnelle Auffassungsgabe hat. Genauso gut kann aber z. B. auch sein, dass dieses Kind einfach besonders viel Umgang mit Erwachsenen hat, die die Sprache fördern.

 

Für den Austausch mit Altersgenossen hingegen ist Sprache nicht unbedingt erforderlich, die Verständigung klappt auch so. Kinder teilen sich einander über Sinneswahrnehmung und Körpersprache mit – und vermeiden damit unzählige Missverständnisse. Davon ist auch die Sicherheit in der Auswahl homöopathischer Arzneien betroffen. Sie gerät umso früher ins Wanken, je eher die Kommunikationsformen eines Kindes in den abstrakten, intellektuellen Bereich verschoben werden.

 

 

Ein Mensch, der ausreichend lange in seiner noch heilen Empfindungswelt verbleiben kann, ohne jede Regung über den Verstand erfassen und formulieren zu müssen, hat eine größere Chance, ein ungetrübtes Verhältnis zu sich selbst zu bewahren. Eine möglichst lange Phase intakten intuitiven Erlebens stabilisiert uns für den Umgang mit unserer Umgebung. Denn für alles spätere Lernen brauchen wir Körper, Geist und Seele gleichermaßen.

 

 

Aber Lernen fängt schon viel früher an als Sprechen:

 

Kinder müssen lernen, wann sie schlafen sollen, auch wenn sie etwas quält, oder stillsitzen, wenn sie sich bewegen möchten, oder ruhig sein, wenn ihnen zum Heulen ist. 

 

Mit unzähligen Verhaltensregeln werden intuitive Äußerungen tatsächlichen Befindens schon frühzeitig unterdrückt. Schon bei Kindern im Alter von wenigen Monaten werden nicht selten bewusste Absichten vorausgesetzt, wie sie Erwachsenen geläufig sind, und mit "erzieherischen Maßnahmen" korrigiert. Das ist ein frontaler Angriff auf das natürliche, ungetrübte Selbstvertrauen eines Menschen in der ersten Lebenszeit.

 

Ein Kleinkind kann nicht verstehen, das man ihm sein Schreien verübelt, denn anders kann es sich nicht mitteilen. Es geht selbstverständlich davon aus, dass seine Eltern für sein Problem Abhilfe suchen. Zu frühes erzieherisches Eingreifen mit "pädagogischen Konsequenzen" erschüttert dieses Vertrauen und verunsichert für ein ganzes Leben. Letzten Endes sind es die Folgen davon, die das heutige Gesicht unseres Planeten prägen – verunsicherte Menschen, von Anfang an, in Positionen, in denen oft genug verhängnisvolle Entscheidungen getroffen werden.

 

 

Wie oft stößt man im Vorübergehen auf der Strasse oder im Supermarkt auf trotzig aufbegehrende Kinder, die sich verzweifelt dem Diktat übermächtiger Erwachsener widersetzen. Wenn man in ihre Augen sehen würde, könnte man Trauer und Alleinsein erkennen, Hilflosigkeit gegenüber einem Mangel an Verständigung, auf den sie von Natur aus überhaupt nicht gefasst sind.

 

Und ebenso trotzig schieben Eltern die Kinderkarre - und glauben an Erziehungsregeln, aber nicht an ihr Kind.

 

Das Gefühl von Einsamkeit, das so entsteht, ist, wenn überhaupt, nur sehr schwer korrigierbar, denn es entwickelt sich schon in einer Lebensphase, die später von der Erinnerung nicht mehr erreicht werden kann. Es bleibt als Dauerzustand haften, dieses Nicht-Angenommen-Sein und die Verlorenheit, die davon Betroffene für ganz normal halten, weil sie gar nichts anderes kennen. Diese Menschen wissen nicht, wie sich eine unbeschädigte Seele anfühlt – und ahnen doch, dass es so etwas gibt, das ihnen aber vorenthalten wird.

 

Anstatt ins Leben zu finden, verstecken sie ihre Unsicherheit hinter einer Maske, mit der sie versuchen, die Erwartungen ihrer Umgebung zu erfüllen. Sie zeigen der Welt ein künstliches Gesicht, das der Psychologe Arno Grün so treffend als "Pose" bezeichnet. (Siehe dazu: Arno Grün, "Ich will eine Welt ohne Kriege", Klett-Cotta)

 

Die Spannungen zwischen dem wirklichen inneren Zustand und dem künstlichen Bild sind oft kaum zu ertragen und können sich in den unterschiedlichsten Krisen entladen.

 

 

 

Wie sollen wir also umgehen mit den Unmutsäußerungen unserer Jüngsten?

 

Am wichtigsten ist in jeder Situation der Wille zur Verständigung. Was kann das Problem sein, das wir nicht erkennen? Der sonst so geliebte Brei wird über den Tisch gespuckt, der Teddy wird weit weg geworfen. Ein solches Verhalten hat wahrscheinlich weder mit dem Brei noch mit dem Teddy zu tun. Fast immer haben diese Ausbrüche innere Gründe. Anstrengende Kinder geben weiter, was sie selbst anstrengt.

 

Die Ursachen kennen wir nicht; sie können auch gesundheitlicher Natur sein, z. B. erste Vorboten von Krankheiten oder Beeinträchtigungen, die erst Monate oder sogar Jahre später sichtbar werden, wie z. B. eine drohenden Allergie oder eine andere chronische Krankheit.

 

Oder ein naher Infekt kündigt sich an, der das Kind vorübergehend außer Gefecht setzt, ihm aber die Chance auf Ruhe und Umsorgung verschafft.

 

Das Erscheinungsbild der Kinderkrankheiten hat sich sehr verändert, u. a. durch Wegimpfen der klassischen Infektionen, die fast alle mit einem Exanthem abschlossen.

 

 

Ältere Patienten erzählen manchmal, dass sie die Zeit, in der sie z. B. mit Masern krank im Bett lagen, in schöner Erinnerung haben, vor allem, wenn es ihnen schon wieder etwas besser ging. "Man hatte Zeit für sich und wurde versorgt, ohne dass man gehorchen musste oder Anweisungen befolgen, außer Ruhe zu halten." (Zitat einer Patientin)

 

Solche Ruhepausen, auch für die kindliche Seele, gibt es heute kaum noch. Diffuse Infekte, welche die klassischen Kinderkrankheiten abgelöst haben, zeigen oft ein unklares Erscheinungsbild. Und vor allem werden sie mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verkürzt oder vermieden, denn die Kinder müssen einen fest geplanten Alltag bewältigen.

 

Auch deshalb kommen Krankheiten häufig wieder zurück. Der Organismus ist nicht verstanden worden und bringt sein Anliegen noch einmal vor, sozusagen in "bester Absicht".

 

 

Oft beobachten wir eine erstaunlich lange Geduld der Lebenskraft. Es dauert lange, bis sie sich auf eine tiefere Ebene zurückzieht und ein chronisches Geschehen nicht mehr verhindern kann.

 

Um diesen Verlauf zu vermeiden, empfiehlt es sich, gerade auch bei Kleinkindern von Anfang an mit tiefen Nosoden zu arbeiten, die den Weg für eine positive gesundheitliche Entwicklung – auch und besonders der seelischen Ebene – frei machen.

 

 

Copyright by Christiane Petras