Noch immer leugnen viele Menschen die Wirksamkeit von Homöopathie, allein deshalb, weil wir sie nicht nachmessen oder belegen können. Praktische Erfahrungen zeigen das Gegenteil und lassen sogar vermuten, dass die Möglichkeiten dieser Methode noch lange nicht ausgeschöpft sind. Vielleicht finden wir in absehbarer Zeit Beweise dafür, aber warum so lange warten, wenn man jetzt schon helfen kann? Also versuchen wir zu nutzen, was wir heute beobachten und tasten uns in kleinen Schritten vor auf noch unbeleuchtetes Gelände.

 

Unsere Sinnesorgane sind dort die zuverlässigste Orientierungshilfe. Mit ihnen verfügen wir von Natur aus über ein sozusagen serienmäßig eingebautes Lotsensystem, das die intuitive Wahrnehmung mit dem bewussten Denken verbindet. Sie lenken uns nicht nur durch verschiedene räumliche Ebenen, sondern auch in unserer Lebenssituation insgesamt, nicht zuletzt bezogen auf Gefahr von innen oder außen.

 

Ihre Aufgabe besteht darin, unser Umfeld und unseren inneren Zustand fortlaufend miteinander abzugleichen. Zunächst wird dafür nur das Unterbewusstsein gebraucht, von dort aus werden auf Veranlassung der sinnlichen Wahrnehmung organische Reaktionen in die Wege geleitet, lange bevor sich gezieltes Denken einschaltet.

 

Der Großteil aller Meldungen kommt in unserem Bewusstsein gar nicht an, denn die lebenswichtigen Funktionen werden, wie schon erwähnt, ohnehin unwillkürlich gesteuert. Auf Pulsschlag, Verdauung, Atmung, Hormonhaushalt haben wir keinen willentlichen Einfluss, die meisten äußerlichen Einwirkungen werden deshalb durch unwillkürliche Abläufe aufgefangen. Unser Bewusstsein merkt davon nichts, wir wundern uns vielleicht nur manchmal über eigene Reaktionen, die unseren Verstand überrollen.

 

 

Die modernen Lebensumstände verändern sich schneller, als die Evolution sich anpassen kann, und damit hat die Sinnesleistung immer geringeren Anteil an der Bewältigung alltäglicher Notwendigkeiten, für die sie ursprünglich gebraucht wurde. Für die Arbeit am PC zum Beispiel ist sie ungefähr so nützlich wie Pfeil und Bogen; selbst die visuelle Wahrnehmung ist nur dazu da, abstrakte Strichcodes, also Schrift, aufzunehmen und zur Entschlüsselung an das bewusste Denken zu übermitteln.

 

Sinnliche Wahrnehmung spielt heute für viele eher in der Freizeit eine Rolle, z. B. beim Besuch von Weinproben, Kochkursen, Erlebnispfaden, Gleichgewichtstraining usw. Die Geschicke des Alltags werden vorwiegend über den Verstand gelenkt, so wie wir es seit frühester Kindheit lernen.

 

Das bedeutet, dass sich Stresssituationen, die sich aus abstrakt aufgenommenen Informationen ergeben, schwieriger lösen lassen, weil die organische Unterstützung für das Gleichgewicht zwischen Anspannung und Entspannung hier nicht wirken kann. Die Lebenskraft muss auf die Hilfeleistung der zwischen Denken und Empfinden vermittelnden sinnlichen Wahrnehmung verzichten.

 

 

Anhand von einigen Beispielen will ich versuchen, diese Zusammenhänge zu verdeutlichen:

 

Stellen wir uns vor, wir hörten spät abends im Dunkeln Schritte vor unserem Fenster. Wir wüssten nichts von Überfällen oder Einbrüchen, hätten keine abstrakten Informationsquellen dazu, wie Zeitung, TV oder Radio (denn auch für diese sind wir von der Evolution noch nicht nachgerüstet). Wir hörten nur die Schritte, und sie machten uns Angst.

 

Von Natur aus würde Entspannung einsetzen, sobald die Schritte sich entfernt haben, oder kurze Zeit danach. Die Sinneswahrnehmung würde melden "Gefahr vorüber", und sämtliche unwillkürlichen Reaktionen würden sich wieder auf Normalniveau einpendeln. So verfährt der Organismus natürlicherweise mit dem lebenserhaltenden Impuls "Angst" und verhindert auf diese Weise einen gesundheitsschädigenden Dauerstress.

 

Anders verhält es sich mit einer Angst, die sich aufgrund von abstrakten Informationen – ohne sinnlichen Bezug – in unserem "Gemütsorgan" einnistet, z. B. durch eine schriftliche Mitteilung, die nur über einen bewussten Denkvorgang verarbeitet werden kann. Einmal auf der Gemütsebene angekommen, wirkt sie wie eine Giftspritze, die von außen an allen anderen organischen Bereichen vorbei direkt in das Zentrum verabreicht wird, das alle körperlichen Funktionen auslöst und koordiniert.

 

Die Reaktion darauf ist abhängig von dem Kräftehaushalt der betroffenen Person und der Belastung, die sie zu bewältigen hat. Wenn ihre Lebenskraft ohnehin schon am Rande ihrer Leistungsfähigkeit arbeitet und kurz vor Überforderung steht, wenn gar gesundheitliche Bedrohungen dabei sind, sich aufzubauen, dann wird diese Form von Angst auf einen fruchtbaren Boden fallen und sich ausbreiten.

 

Menschen, die unter Angstzuständen leiden, projezieren ihre innere Beunruhigung meistens unbewusst auf einen sichtbaren oder zumindest erklärbaren Anlass. Sie suchen dafür einen Ort oder einen Zusammenhang, der dem Verstand zugänglich ist und damit von Zeit zu Zeit eine Chance auf zumindest vorübergehende Entwarnung bietet, z. B. Angst um die Gesundheit, die sich durch eine Untersuchung ohne Befund für einige Zeit beruhigen lässt.

 

Der innere Grund für die Neigung, verschiedene Ängste zu entwickeln, ist vielleicht ein ganz anderer, und wenn er stark genug ist, kann er sich z. B. in Form von Panikattacken verselbstständigen.

 

Das bedeutet, dass die Lebenskraft sich bereits von Zeit zu Zeit "Auszeiten" nimmt, in denen sie die Koordination von Lebenssituation und Reaktion verweigert. Sie ist offenbar mit anderen Dingen überlastet und "streikt" dort, wo sie sich zu Unrecht allein gelassen fühlt. Die unbewussten Steuerungsmechanismen der intuitiven Wahrnehmung helfen ihr nicht, sie sind nur eingeschränkt aktiv oder sogar außer Betrieb. Sie muss also die Arbeit, die von Natur aus geteilt wäre, allein bewältigen.

 

Das Gleichgewicht zwischen allen organischen Funktionen wird damit verschoben, mit unüberschaubaren Folgen. Die Lebenskraft wird dementsprechend schneller überfordert sein, ihre Arbeit nicht mehr schaffen, und die einmal erzeugte – oder, wie der Volksmund sagt, "eingejagte" – Angst kann sich umso leichter als Dauerzustand einnisten und den gesamten Organismus negativ beeinflussen, bis in die am weitesten entfernte Faser hinein.

 

Das ist so, als ob eine Firma der Hälfte ihrer Arbeiter kündigt, obwohl sie mit Aufträgen voll ausgelastet ist. Die zu erledigende Arbeit verteilt sie auf die verbliebenen Angestellten und nutzt diese bis zur Erschöpfung aus.

 

Bezogen auf die allgemeine gesundheitliche Entwicklung finden wir dementsprechend steigende Zahlen von Angst- oder Panikpatienten, bei denen die intuitive Steuerung buchstäblich aus dem Ruder läuft. Kein Kraut scheint dagegen gewachsen zu sein.

 

Diese intuitive Steuerung muss für eine erfolgreiche homöopathische Begleitung wieder aktiviert und gefördert werden, denn sie ist der zuverlässigste Wegweiser für deren langfristigen Verlauf. Sie hat absolut oberste Priorität gegenüber allem, was Menschen sich im Laufe von Jahrtausenden an theoretischem Wissen angeeignet haben.

 

 

Ergebnisse medizinischer Forschung wirken dagegen bisher wie zerstreute künstliche Lichtquellen auf dem bereits erwähnten dunklen Gelände, ihre Hilfe ist begrenzt und oft nur vorübergehend.

 

Wir stehen Krankheiten gegenüber wie auf einer einsamen Landstrasse im Schein einer installierten Lampe; dort können wir alles genau unterscheiden, was zu unseren Füßen liegt. Aber neue Entwicklungen zwingen uns, den kleinen hellen Fleck zu verlassen. Auf unserem Weg die Strasse entlang zieht nun ein immer länger werdender Schatten vor uns her, und unwillkürlich beschleunigen wir unseren Schritt, bis der nächste Lichtkegel wieder erkennen lässt, was vor uns liegt, wenigstens für ein kleines Stück.

 

Dabei werden unsere Augen unempfindlich für alles, was sich außerhalb der Reichweite des Lichtscheins befindet. Wir sehen nichts mehr von der abseits liegenden Umgebung und nehmen sie nur mit den anderen Sinnen wahr. Jedes Geräusch wird uns dabei verunsichern, denn die optische Ergänzung zur übrigen Sinnesleistung ist buchstäblich ausgeblendet. Wir bewegen uns nur mit halbem Kontakt zur Umwelt, aber weithin für jedermann sichtbar.

 

Die Angst, die uns in dieser Situation befällt, ist der Unsicherheit vergleichbar, die Patienten empfinden müssen, wenn der Befund eines ausgebildeten Spezialisten nicht zu ihrem Körpergefühl passt, z. B. wenn für eine latente Beunruhigung keine Ursache zu finden ist. Die fehlende Leistung wichtiger Teile unseres Orientierungssystems, das immer von der abstrakten Informationsverarbeitung überlagert wird, verstärkt dabei noch das Gefühl von Bedrohung in einer ohnehin schon angespannten Lage.

 

 

Potenzierte Arzneien könnten in jeder Situation eingreifen, noch bevor ein Arzt erkennen kann, ob er überhaupt ein Leiden zu behandeln hat. Für die Beurteilung ihrer langfristigen Wirkung brauchen wir aber die Orientierungshilfe der spontanen Empfindung, die der Patient möglichst an die begleitende Person weitergibt, damit sich beide bei der Auswahl der unterstützenden Mittel davon lenken lassen können.

 

Homöopathische Langzeitbegleitung bedeutet immer auch das Trainieren oder gar Zurückerobern der sinnlichen Wahrnehmung auf beiden Seiten. Dabei sollte jedes latent bedrohliche Körpergefühl verschwinden und im Idealfall die innere Zuversicht des Patienten wieder hergestellt werden.

 

 

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